Liebe Zuhörende,
eineinhalb Jahre Corona und die Folgen von Corona werden immer mehr erkennbar: Das sind ja nicht nur die vielen Erkrankten und Verstorbenen, das sind vor allem auch die vielen Menschen, die durch Corona noch mehr sozial, gesellschaftlich und wirtschaftlich abgehängt werden – bei uns und noch viel mehr in anderen Ländern. Die Arbeitslosigkeit, die Armut und der Hunger haben in vielen Teilen der Welt neue Höchststände erreicht. Ein zum Himmel schreiendes Elend und ein zum Himmel schreiendes Unrecht, das die Menschen, die es betrifft in keinster Weise kalt läßt und ihr Leben bedroht, und das andere, die dieses Elend und Unrecht sehen, wenn sie es denn auf Grund der einseitigen Berichterstattung überhaupt mitbekommen, eigentlich nicht kalt lassen kann und auch meine Konfirmand*innen nicht kalt ließ, die dazu ihren Vorstellungsgottesdienst gestalteten.
Was aber tun in solch einer Not-Situation, in einer Situation, wo das Elend zum Greifen nahe ist? Resignieren –„ hat alles keinen Sinn, kann man nichts machen“? Lamentieren – „wie war es zu anderen Zeiten doch so gut“? Forderungen an die Reichen und Mächtigen stellen – „die sollen sich mal kräftig abgeben“! Oder aber den Weg des Propheten Haggaj einschlagen, von dem der Monatsspruch des gerade begonnenen Monats September stammt, in dem er die Not seines Volkes klar und nüchtern beschreibt: „Ihr sät viel und bringt wenig ein; ihr esst und werdet doch nicht satt; ihr trinkt und bleibt doch durstig; ihr kleidet euch, und keinem wird warm; und wer Geld verdient, der legt's in einen löchrigen Beutel.“ (Hag 1,6) Ja, Haggajs Volk ging es schlecht. 50 Jahre waren sie in babylonischer Gefangenschaft gewesen und dann durften sie unter dem Perserkönigen Kyros und Darius endlich in ihre alte Heimat zurückkehren. Aber die Heimat war nicht mehr die, die sie mal verlassen hatten, das Land lag brach, die Dörfer und Städte waren verfallen, Jerusalem und sein Tempel zerstört, marodierende Banden zogen umher. Die Israeliten kämpften in dem neuen alten Land ums Überleben, waren mit sich selbst beschäftigt.
Und da kommt der Prophet Haggaj und verkündet den Israeliten im Namen Gottes: „Baut den Tempel wieder auf, denn das soll mir angenehm sein und ich will meine Herrlichkeit erweisen.“ (Hag 1,8). Ja wenn ihr den Tempel wieder aufbaut, dann wird es auch euch und allen Menschen wieder gut gehen, dann werdet ihr säen und viel ernten, essen und satt werden, trinken und nicht durstig bleiben, euch kleiden und warm sein und Geld haben, um euch und anderen etwas davon zu gönnen. Wie denn das?, werden sich manche Menschen damals gefragt haben und auch heute fragen. Ein Tempelbau ist doch ein aufwendiges und teures Unterfangen, was soll der an der Situation der Menschen ändern und verschlimmert er nicht sogar noch die soziale und wirtschaftliche Not?
Nein, sagt Haggaj, durch den Tempelbau wird manches besser so wie auch durch Synagogen und Kirchen und Moscheen und die dort gehaltenen Gottesdienste und Zusammenkünfte manches besser werden kann. Denn es ist ja nicht so, dass das nur Geld und Zeit kostet, sondern Menschen kommen im Tempel und an anderen religiösen Orten zusammen, um mit Gott in Beziehung zu treten und mit ihm in Zwiesprache zu sein, um sich durch ein gutes Wort ermutigen und stärken zu lassen, um sich als Teil einer Gemeinschaft zu erleben, um die Gemeinschaft miteinander zu kräftigen, um das Leben zu reflektieren, zu korrigieren und Impulse für das weitere Leben zu bekommen. Menschen verlieren nicht sondern gewinnen durch die religiösen Orte und werden dadurch in die Lage versetzt, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen und auch für andere da zu sein, Not zu lindern, miteinander zu teilen und Krisen zu durchstehen und zu meistern.
Die Menschen damals zur Zeit des Propheten Haggaj haben sich seine eindringlichen Worte zu Herzen genommen. Sie haben den Tempel wieder aufgebaut und haben gemerkt, dass dieses gemeinsame Arbeiten ihnen Mut und Kraft und Gemeinschaft geschenkt hat und sie diesen Mut, diese Kraft und diese Gemeinschaft auch mit in ihren Alltag nehmen konnten und es auch da zunehmend besser wurde. Und wir? Nehmen wir uns die Worte des Haggaj auch zu Herzen? Suchen wir auch Gott und sein Wort und lassen wir dadurch unseren Blick weiten und sehen nicht nur uns sondern auch andere, nicht nur naheliegende Hilfen sondern auch andere Möglichkeiten. Ich wünsche uns, dass wir Gott und seinem Wort in den Kirchen und ihren Veranstaltungen begegnen und wir dadurch ein wenig die krisenhafte Situation der Welt verändern können. Amen.