Zum Nachlesen: Ansprache zum 9. Sonntag nach Trinitatis

„Neige, Herr, dein Ohr und höre! Öffne, Herr, deine Augen und sieh her!“ (2.Kön 19,16).

Liebe Zuhörende, 

wir kennen alle die Redewendungen „mit dem Rücken zur Wand stehen“, „in die Ecke gedrückt werden“ oder „auf verlorenem Posten sein“. Mit diesen Redewendungen ist gemeint, dass man sich so wie früher die Schwertkämpfer in einer großen Notlage, in einer fast aussichtslosen Situation befindet, aus der es anscheinend kein Entkommen gibt,
 

Fast jeder von uns hat im Laufe seines Lebens schon mal „mit dem Rücken zur Wand gestanden“. Vielleicht waren die Noten in der Schule, in der Ausbildung oder im Studium so schlecht, dass an einen Abschluss kaum zu denken war. Vielleicht waren die Untersuchungsergebnisse so niederschmetternd, dass man eine Heilung undenkbar wähnte. Vielleicht war das Verhalten zum Partner oder zu einem Freund so unverzeihlich, dass eine Trennung unvermeidbar erschien. Und vielleicht schrieb die Firma so rote Zahlen, dass die Pleite absehbar war. 
 

Wenn man „mit dem Rücken zur Wand steht“, dann bekommt man es echt mit der Angst zu tun, manchmal kommt da auch Ärger hoch über eigene oder fremde Versäumnisse oder Trauer über das, was verloren hat und/oder nicht bekommen wird. Wenn man „mit dem Rücken zur Wand steht“, dann neigt man oft zur Resignation, denkt man, dass alles keinen Sinn hat, ergibt man sich in sein Schicksal, lässt den Dingen seinen Lauf.
 

Anders aber König Hiskia, von dem der Monatsspruch des gerade begonnen Monats August stammt. Auch Hiskia und sein Volk standen „mit dem Rücken zur Wand“ – und wie! Der Assyrerkönig Sanherib war mit einem gigantischen Heer bis vor die Tore Jerusalem gezogen und spottete über Hiskia, sein Volk und seinen Gott, der ihm scheinbar nicht half, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Assyrer zum Sturm bliesen und Jerusalem dem Erdboden gleichmachten.
 

Doch Hiskia resignierte nicht. Hiskia ging in den Tempel und betete zu Gott und sprach in seinem Gebet die bekannten Worte „Neige, Herr, dein Ohr und höre! Öffne, Herr, deine Augen und sieh her!“ (2.Kön 19,16). Hiskia bittet Gott um sein Dabeisein, nicht unbedingt um seine Hilfe. Es reicht ihm, dass er seine Ängste und Sorgen bei ihm loswerden kann, dass er sich in seiner Not beachtet und wertgeschätzt weiß. Das gibt ihm Mut und Kraft, sich der Situation zu stellen und nochmal mit Gottes Hilfe zu schauen, ob es nicht doch und wenn auch noch so kleine Chance eines Auswegs gibt.
 

In der Bibel wird erzählt, dass bei Hiskia Gott nicht nur mit Ohr und Augen nahe war sondern in der darauffolgenden Nacht einen Engel schickte, der Hunderttausende Assyrer kurz und klein schlug und die Assyrer kurzerhand abzogen. So etwas fast Märchenhaftes werden wir nicht erleben. Aber was wir erleben können und werden, ist das, was Albert Schweitzer mal so formuliert hat: „Gebete ändern zwar nicht die Welt, aber Gebete ändern Menschen und Menschen ändern die Welt.“ – wie wahr! Gebete können Mut machen, können Kräfte bündeln, können ins Nachdenken bringen, können Ungeahntes in uns entdecken lassen und können dann zur Flucht nach vorne oder zur Hilfsanfrage bei anderen oder zur Solidarisierung von anderen führen und uns ein wenig von der Wand und aus der Ecke und verlorenen Posten wegholen und uns wieder ein Stück Leben zurückbringen.
 

„Neige, Herr, dein Ohr und höre! Öffne, Herr, deine Augen und sieh her!“ Haben wir in Zukunft den Mut so wie Hiskia Gott nicht nur in guten Zeiten sondern auch und gerade in ganz aussichtslosen und scheinbar Gott fernen Zeiten anzusprechen und ihn auf uns aufmerksam zu machen und darauf zu vertrauen, dass Gott uns in irgendeiner Form auch beistehen und uns durch diese Lebenskrise hindurchführen wird. Vielleicht können wir irgendwann auch wie die Eiskunstläuferin Katharina Witt sagen: "Je mehr ich mit dem Rücken zur Wand stand, desto besser war ich".  Gott neigt sein Ohr und öffnet seine Augen und nimmt wahr, wie es uns geht, und manchmal puscht er uns auch nach vorne. Gott sei Dank. Amen. 

 

 

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