Zum Nachlesen: Ansprache zu Jubilate

„Keinem von uns ist Gott fern“ Apostelgeschichte 17, 27

Liebe Zuhörende

„Keinem von uns ist Gott fern“ – so heißt es im heutigen Predigttext aus der Apostelgeschichte, ein Satz, den der Apostel Paulus angeblich auf dem Areopag, dem Gerichtsort von Athen, gesagt haben soll. Mit diesem Satz wollte er die Athener  gewinnen, die doch ganz viele Götter für alle möglichen Bereiche hatten und immer befürchteten, sie würden bei ihren Opfern und Gebeten irgendeinen Gott vergessen, weshalb sie auch einen Tempel für den unbekannten Gott hatten. Paulus nun versuchte, im unbekannten Gott seinen Gott zu sehen, der alles geschaffen hatte und in jeder Kreatur steckte.
 

 „Keinem von uns ist Gott fern“ – ob das die Athener überzeugt hat?! Sie erlebten ja immer wieder, dass es Situationen gab, wo sie sich von Gott und den Göttern alleine gelassen fühlten. 130 Jahre römische Besatzungszeit sprachen ja für sich und dann noch etliche Krankheiten, Naturkatastrophen.
 

„Keinem von uns ist Gott fern“ – und ich frage mich, ob Paulus das selber geglaubt hat, was er da den Athenern erzählte. Er wusste doch, dass Jesus sich in seinem Leiden und Sterben von Gott verlassen gefühlt hat und es am Kreuz in die bekannten Psalmworte brachte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?!“ Und er wusste auch um die Demütigungen und Verfolgungen der Christen und hatte sie am eigenen Leib erlebt. 

 

„Keinem von uns ist Gott fern“ – ein Satz, der auch vielen Menschen nach Paulus und den Athenern aufgestoßen ist, weil sie bei allem Leid, dass sie erfuhren, sich immer wieder fragten, wo denn Gott in all dem Leid ist und ob Gott sie nicht verlassen hat: Menschen , die vom Krieg heimgesucht wurden, Menschen, die unterdrückt und verfolgt wurden, Menschen, die ein  Erdbeben oder eine Hungersnot erlitten, Menschen, die von einer todbringenden Krankheit heimgesucht wurden, auch Menschen, die unter Corona besonders gelitten haben.
 

„Keinem von uns ist Gott fern“ – sicherlich gibt es Menschen, die können diesen Satz unterschreiben, die haben in ihrem Leben immer wieder Gott erfahren, der ihnen Gutes geschenkt hat, sie durch schwierige Zeiten geleitet und ihnen neue Anfänge geschenkt hat. Aber diese Menschen sind doch eher die Minderheit. Es gibt sicherlich viel mehr Menschen, die immer wieder in ihrem Leben in Situationen kommen, wo sie Gott ganz fern erleben und wo sie an seiner Allmacht und seiner Barmherzigkeit oder gar ganz an seiner Existenz zweifeln.
 

Und dennoch sagt Paulus nach den Apostelgeschichte: „Keinem von uns ist Gott fern.“ Bei aller Skepsis zieht mich dieser Satz immer wieder in seinen Bann. Und ich frage mich, ob es nicht doch sein kann, dass Gott, auch wenn wir ihn fern von uns, uns von ihm verlassen wähnen, nicht dennoch bei uns ist, uns ganz nah, vielleicht auch in uns ist.
 

Vielleicht ist ja unser Problem, dass wir Gott nur dann nah bei uns meinen, wenn es uns gutgeht oder wir schwierige Situationen meistern oder etwas Bestimmtes eintritt. Vielleicht aber ist Gott gerade in den ganz schwierigen, in den ganz anderen Lebenssituationen bei uns, und macht uns Mut, dass wir all unser Klagen, Weinen und Fragen mal rauslassen können, hört sich unser Klagen, Weinen und Fragen an, bringt uns in Verbindung mit anderen Menschen, die auch leiden, lässt uns in einen Austausch bringen, lässt uns gemeinsam unsere Stimme erheben, Dinge einfordern, Schritte in eine vermeintlich sorgenfreiere Richtung tun, lässt uns kleine Hoffnungszeichen entdecken, die uns in unserem Dunkel ein wenig Licht spenden, uns durchhalten lassen: ein gutes Wort, das uns tröstet, ein blühender Baum oder ein zwitschender Vogel, der uns erfreut, eine Begegnung mit einem netten Menschen, die uns hoffen lässt, ein Ruck in der Seele, im Geist, im Körper, der uns aufrüttelt und uns weitermachen, es anders machen, oder etwas ganz neu machen lässt – 
 

„Keinem von uns ist Gott fern“ – immer wieder werden wir in unserem Leben in Situationen kommen, wo wir Gott als fern erleben. Wir dürfen und sollen das benennen und können dennoch erleben, dass Gott uns oft doch näher ist, als wir meinen. Ich wünsche uns, dass wir dafür offen sind, dass wir auch diese Erfahrung machen, und sie uns trägt, heute, morgen und in Ewigkeit. Amen.

 

 

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