Zum Nachlesen: Andacht zum 2. Sonntag nach Epiphanias

„Von seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“ (Johannes 1,16)

Liebe Zuhörende, 

vor drei Jahren gab es eine Reform der Predigttexte und Wochensprüche. Vermutlich hätten die Mütter und Väter der neuen Perikopenordnung einen anderen Wochenspruch ausgesucht, wenn sie damals schon von der Corona-Pandemie gewusst hätten. So aber heißt der neue Wochenspruch: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“ (Johannes 1,16) – Schön wär´s. Aber leider ist dem nicht so. Natürlich haben einige auch in der  Krisenzeit aus dem Vollen schöpfen können, die Großkonzerne und Börsianer, die satte Gewinne eingefahren haben, und die Menschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen, haben zumin-dest mal kurz durchatmen können. Aber ansonsten haben viele Menschen in der Corona-Zeit gelitten, sind krank geworden oder gestorben, sind arbeitslos und arm geworden, wurden in der Bildung abgehängt oder sind im Altersheim oder zu Hause vereinsamt. Wie also kann der Verfasser des Johannesevangeliums in An-betracht dieser Leere und dieser Gnadenlosigkeit da behaupten und wie können andere das unterstützen dass „wir alle“, und nicht nur einige, „von seiner Fülle genommen und Gnade um Gnade“ erlebt haben? Nein, in der Coronazeit haben wir das nicht erlebt, aber auch sonst erleben die meisten Menschen nicht, dass sie aus der Fülle nehmen können und Gnade um Gnade erleben. Für viele Menschen ist der Mangel an Nahrung, an medizinischer Versorgung, an Bildung, an sozialen Kontakten Alltag und sie erleben nicht, dass „Gnade vor Recht“ ergeht, sondern dass das Recht der Stärkeren, der Industrienationen, der Gebildeten, der Reichen, der Mächtigen gilt und das Recht, auch und besonders grundlegende Menschenrechte, gebrochen und mit Füßen getreten werden, von wegen Recht auf Grundversorgung, Bildung, Freiheit und vieles andere mehr.  

 

Und dennoch legt der Evangelist Johannes seinem Namensvetter Johannes dem Täufer am Anfang seines Evangeliums die Worte in den Mund: „Von seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“ Johannes der Täufer war mitnichten jemand, der aus der materiellen Fülle schöpfen konnte, im Gegenteil, er war arm, lebte von der Hand in den Mund und hatte kein Dach über den Kopf. Und trotzdem oder gerade deshalb sprach er „Von seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“  Anscheinend geht es um eine andere Fülle und der Satz ist auf Jesus Christus, Gottes Sohn bezogen, von dem es im vorigen Satz heißt, dass er immer schon da war und immer noch da sein  wird. Darum geht es, dass Gott in seinem Sohn Jesus Christus vom Himmel auf die Erde, aus der Ferne ganz in die Nähe gekommen und immer und überall da ist, besonders bei den Menschen, die ganz am Rande stehen, die von anderen ausgegrenzt werden, die arm, schwach und machtlos sind. Gerade bei denen ist Gott und sagt ihnen zu: Ihr seid meine geliebten Kinder, ihr habt einen Wert und ich will mit Euch mein Reich aufbauen und die Fülle des Himmels auf die Erde bringen, will mit Euch das Reich Gottes aufbauen. 

 

„Von seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“ und von seiner Fülle können wir nehmen, täglich und umsonst und reichlich. Und mit der Fülle Gottes können wir die Leere in der Welt auffüllen, ausfüllen, können wir Licht ins Dunkel bringen. Gott ist bei uns, immer und überall, deshalb können wir erhobenen Hauptes und mit aufrechtem Gang durch die Welt gehen und können unsere Stimme erheben für uns, für andere, für Gerechtigkeit und Frieden in der Welt. Und das wird auch und verstärkt im Jahr 2021 wieder von Nöten sein. Die Schere zwischen arm und reich geht ja immer weiter auseinander, die Konflikte im Kleinen und Großen nehmen zu. Gott schenkt uns in Jesus Christus den Mut und die Kraft da im Rahmen unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten Stellung zu beziehen, vielleicht nicht so krass wie Johannes der Täufer, der zur Umkehr und zur Buße aufrief, aber indem wir von dem, was wir zu viel haben an die abgeben, die zu wenig oder gar nichts haben, indem wir den Kontakt nicht nur zu unseren Nächsten sondern auch zu Ferneren, Menschen anderer Herkunft, anderer Meinung suchen, indem wir unseren Unmut über bestimmte, Gott zuwider laufende Entwicklungen offen aussprechen.  

 

„Von seiner Fülle haben wir alle genommen, Gnade um Gnade.“ Gott ermöglicht uns immer wieder neue Anfänge. Die Welt muss und wird nicht bleiben wie sie ist. Gott will mit uns die Welt gerechter, friedlicher, bunter, lebendiger gestalten. Für die Gnade, für Gottes Nähe Auf Dieser Erde, was die Buchstaben G N A D E ja meinen, ist es nie zu spät. Gott sei Dank. Amen. 

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