Zum Nachlesen: Ansprache zum Jahreswechsel

„Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36)

Liebe Zuhörende,

 

wir stehen am Jahreswechsel 2020/21 und an so einer Schwelle schaut man bekanntlich zurück und auch voraus. Was war das Jahr 2020 doch für ein ver-rücktes Jahr, ein Jahr, in dem so Vieles ganz anders war. Vieles, was wir zu Beginn des Jahres noch geplant und gewünscht hatten, ist so nicht eingetroffen und Vieles, was wir nie für möglich gehalten haben, ist gekommen. Jede und jeder von uns könnte hier viel erzählen, erzählen von Kontaktbeschränkungen und Isolation, von ausgefallenen Feiern und Urlaubsfahrten, von Erkrankung, Quarantäne und Todesfällen, von homeschooling und homeoffice, von Arbeiten bis zur Belastungsgrenze, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit, von existentiellen Nöten und depressiven Verstimmungen. Ja, was war das für ein ver-rücktes Jahr, das uns nun zum zweiten Mal einen Lock-down beschert hat und unter das man am liebsten einen Haken setzen würde. Aber noch ist das Ende nicht in Sicht und wir schauen mit Bangen und Hoffen auf das neue Jahre 2021, wünschen uns, dass wir am Ende des kommenden Jahres eine andere Bilanz als am Ende des zurückliegenden Jahres ziehen können.

 

Ein wenig befremdlich kommt in dieser resignativen, sorgenvollen, ungewissen Situation die Jahres-losung des neuen Jahres aus dem Lukasevangelium daher, in der es heißt: „Jesus Christus spricht: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (Lukas 6,36) Mit Gottes und unserer Barm-herzigkeit war es diesem Jahr ja so eine Sache. War es barmherzig, dass Millionen von Menschen an einer Pandemie erkrankt und verstorben sind? War es barmherzig, dass im Frühjahr kaum einer der europäischen Nachbarn dem Not leidenden Italien und Spanien und Europa als Ganzes nicht den durch Corona, Hunger und Konflikte gebeutelten lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern geholfen hat? War es barmherzig, dass manchen Personengruppen unserer Gesellschaft sehr überschwänglich geholfen wurde und andere, Wohnsitzlose oder Geflüchtete hinten runter fielen? Mitleidig waren wir schon, als wir die Bilder von Menschen an Beatmungsgeräten oder in total überfüllten Flüchtlingslagern gesehen haben oder von zunehmender Gewalt in Familien und steigender Armut, auch bei uns, hörten. Aber mitleidig ist nicht barmherzig, denn Barmherzigkeit ist nicht nur ein Gefühl sondern es ist existentielle Betroffenheit, dem ein Handeln folgt – so wie beim barmherzigen Samariter, dem der Überfallene nicht nur leid tat, sondern der ihm spontan und ohne groß zu überlegen im Rahmen seiner Möglichkeiten und Fähigkeiten half, dem die Sache des anderen zu Herzen ging und sich ein Herz fasste, aber auch mit sich selber barmherzig war und nicht völlig selbstlos war und sich total aufopferte.

 

Natürlich gab es auch im Jahr 2020 Akte der Barmherzigkeit und ich denke nur an die vielen Nachbarschaftshilfen für Risikogruppen oder Menschen in Quarantäne, die es gab, oder die großen Proteste, die schließlich zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Camp Moria geführt haben. Aber es könnte und müsste noch mehr sein, damit wir gut durch die Krise kommen und auch viele andere Probleme auf dieser Welt lösen. Und gerade deshalb heißt es: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ oder richtiger übersetzt: „Werdet barmherzig!“ Gott weiß, dass es mit der Barmherzigkeit nicht einfach ist, weil das Hemd oft näher ist als die Hose, weil wir Angst haben, dass wir verlieren, wenn wir geben oder wie es in einem alten Sprichwort heißt: Erbarmen heißt verarmen. Aber Gott macht uns durch die vielen Akte der Barmherzigkeit vor allem durch seinen Sohn Jesus Christus Mut, es dennoch mit der Barmherzigkeit zu versuchen, klein anzufangen, Zeit in ein Ehrenamt zu investieren, mit Einsamen zu reden, nicht benötigtes Geld an Bedürftige oder Hilfsprojekte zu spenden und zu erleben, dass Barmherzigkeit nicht nur dem hilft, dem ich barmherzig bin, sondern auch mir selber. Barmherzigkeit macht viele Freunde, Barmherzigkeit schafft Freiheit, Barmherzigkeit macht glücklich. Ja, Barmherzigkeit kann verändern, den anderen, der durch die Barmherzigkeit wieder ein Stückweit auf eigene Füße gestellt wird und die Barmherzigkeit weitergeben kann, und mich selber, der ich barmherziger mit mir selber werde und der mich wohler fühle als wenn ich nur an mich und die Meinen denke.
 


„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ Ich wünsche uns allen, dass wir im Jahr 2021 barmherziger werden und dass es uns allen damit besser geht. Wir können und dürfen barmherziger sein, weil Gott barmherzig und gnädig mit uns ist, wie es immer wieder in der Bibel zu lesen ist und wie wir es trotz Corona auch immer wieder erfahren dürfen. Amen. 

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